Ra(s)tlos in Westmänner

Eigentlich wollte ich in diesem Blog von der heimtückischen Schönheit der Eisberge und ihren kleineren Kollegen, den Crawlern und Bergy-Bits, schreiben – von ihrer imposanten Größe, von ihrer Penetranz im Vorwärtskommen, von ihrer Rücksichtslosigkeit wenn sich etwas in ihre Bahn stellt, von ihrer Bockigkeit wenn man einen 100 Tonnenklotz versucht mit 2×3 PS zu versetzen, von den ekelhaften schmatzenden und gurgelnden Tönen, die sie von sich geben, wenn man ihnen nahe kommt und natürlich von ihrer Kälte, von ihrer Eignung Martinis, Gin Tonics und derlei mit einem gewissen Mythos zu kühlen und davon, wie sie im Glas, genügend Phantasie beim Zuhören vorausgesetzt, diesen wunderbaren unnachahmlichen Sound erzeugen, wie es nur mehrere tausend Jahre altes Eis kann. Und von ihrer einzigartigen weiß-transparent-türkisen Schönheit, die bei blauem Himmel und heller Sonne nur durch wenig anderes übertroffen wird. Grönland, an seiner Westküste ein wenig, aber im Übermaß an seiner Ostküste hat uns das geboten.

Das ist nun schon seit zwei Wochen Vergangenheit. Zwischenzeitlich durften wir erfahren wie der kälteste, windigste und nässeste Sommer Islands seit 1937 aussieht. Seit unserer Ankunft vom sonnigen Grönland in Reykjavik an Islands Westküste hat es genau zwei Tage gegeben, an denen sich die Sonne gezeigt hat. An allen anderen Tagen trugen wir mehrere Lagen Kleidung unter Anoraks und Regenhosen, Wollmützen inklusive. Und trotzdem haben wir Island spontan in unser Herz geschlossen.

Wir haben lange, durchaus anstrengende Tageswanderungen zum großen Riss, der sich zwischen der amerikanischen und eurasischen Kontinentalplatte auftut und jedes Jahr größer wird unternommen.

Die natürliche Grenze…Rechts: Amerika. Links: Europa

Wir haben das älteste nordeuropäische Parlament besichtigt, wo drakonische Strafen als Gesetze verkündet wurden, wir haben in heißen Bächen gebadet, die man erst nach zweistündigem Marsch ins Inland erreichen konnte, wir haben mit tausend anderen Touristen einen imposanten Wasserfall

Da wird man auch nass, wenn es ausnahmsweise mal nicht regnet

und einen kümmerlichen Geysir, der alle 10-15 Minuten für eine knappe Sekunde eine Fontäne in die kalte Luft schickte besucht,

wir sind zwischen Fumerolen und schmatzend blubbernden heißen Schlammpötten herumgelaufen

Es qualmt und stinkt überall

und haben im ältesten öffentlichen natürlichen Pool Islands ein warmes Bad in strömenden Regen genossen. Zu guter Letzt haben wir auch noch zwei Isländische Restaurants besucht, eines davon mit einer isländisch-arabischen Cross over Menükarte. Das beste Restaurant in Reykjavik müssen wir uns für nächstes Jahr aufheben, wenn wir länger hier sind. Der nächste freie Tisch war leider erst zum 14. September verfügbar.

Doch das Highlight, mit großem Potential die grönländischen Gletscher in den Schatten zu stellen war der Besuch des frisch ausgebrochenen Vulkans beim Berg Fagradalsfjall. Mit tausenden anderen Schaulustigen sind wir 2 Stunden über Stock und Stein gelaufen um am Ende auf einer Anhöhe gegenüber der heiß speienden, brodelnden, eruptiven und fliesenden Lava zu landen. Alle, die Menschen um uns herum und wir selbst, haben das überwältigende Naturschauspiel in einer berührenden Stille genossen. Es war als säße man an einem riesigen Lagerfeuer, man spürte die meditative Wärme im Gesicht, das Höllenfeuer und die unmittelbare Nähe zu einer unbändigen Natur, der der Mensch nichts entgegenzusetzen hat. Es ist ein Erlebnis, das sich im wahrsten Sinne des Wortes einbrennt.

Im Museum Perlan, das tatsächlich 6 große Wasserspeicher (klar, warmes Wasser) „versteckt“ konnten wir die Entstehungsgeschichte Islands erleben und uns über unsere Zukunft Gedanken machen. Wie in den Alpen sterben auch in Island die Gletscher. Ein kleines Messingschild am Ort des bereits verstorbenen Gletscher mit dem Namen „Ok“ hat uns besonders betroffen gemacht.

Von Reykjavik sind wir im Nachtsprung bei günstigen Winden nach der Westmänner Insel gesegelt – entlang der Südküste und mit Blick auf den Feuer speienden und nach Schwefel riechenden Vulkan in der perfekten Vollmondnacht.

In Westmänner haben wir im Hafen ohne Probleme einen Sturm abgewettert und gehofft, nach seinem Durchgang, morgen weiter zu den Faröer Inseln zu segeln. Pustekuchen! Die Wettervorhersagen laufen auseinander: zu hohe Wellen, zu wenig Wind, zu viel Wind, Gegenwind. Mit der Crew der „Kestrel“ und der Schweizer „Happy Day“ sitzen wir im Café und beraten. Und bleiben ratlos. Das Fenster ist knapp und gefährlich, wenn es nicht genau so eintrifft wie die Vorhersagen, aber ein nächstes kommt vielleicht erst in einer Woche. Wir brauchen für die 370 Meilen drei Nächte. Die Wettermodelle sind bereits am zweiten Tag uneins. Morgen früh schauen wir uns die neuesten Prognosen an. Aber so wie es aussieht machen wir es wie es uns ein alter Captain auf einem ägyptischen Tauchboot gelehrt hat: The sea teaches you to be slow.

Gaskrise auf der Saphir, 50, 1937

Von der verlassenen Wetterstation auf der Ostseite Grönlands sind wir weiter die Küste entlang nach Norden gesegelt. Draußen vor der Küste ist immer dichter Nebel, aber sowie man ins Fjord kommt lichtet er sich (meist). Es ist ein bisschen schade, denn das Panorama ist gigantisch. Aus jedem Tal kommen die Gletscher bis zum Ozean. Daher gibt es relativ viel Eis das aus den Fjorden herauskommt. Und die Eisberge bekommen ganz andere Dimensionen im Vergleich zur Westseite, wo sie schon ziemlich viel an Masse auf ihrer Reise rund um Cape Farvel verloren haben. Manche schätzen wir auf bis zu 50 m hoch und dreimal so breit.

Riesige Eisberge auf dem Weg

Das Auffinden der Ankerplätze wird zum Abenteuer. Einmal Nebel, zum anderen Eis und zum Dritten stimmt unsere Karte um bis zu 2 km nicht mehr. Man fährt dann solange am Ufer entlang bis die Einfahrt zur Ankerbucht kommt. Allerdings kann es schon sein, dass auch eine Landzunge, die in der Karte nicht verzeichnet ist dazwischen kommt.

Ohne die „Kestrel“ wäre es sehr einsam in der Bucht

Jeden Tag haben wir in den Ankerbuchten herrlichen Sonnenschein. Wir genießen Ausflüge zu den kalbenden Gletschern mit unserer kleinen SeaCow (Gummiboot).

Ausflug mit der SeaCow zum kalbenden Gletscher
Abends werden die Crawler geschubst, dass sie uns nachts keine Probleme bereiten.

Am Tag der Abreise aus Grönland erleben wir eine Riesenüberraschung. Das ganze Fjord ist voller Eis und es steht Spitz auf Knopf ob wir überhaupt durchfahren können. Der Eisgürtel is ca 4km breit. Aber unser Buddyschiff „Kestrel“ mit dem wir seit einiger Zeit unterwegs sind bahnt uns mit ihrem Stahlrumpf den Weg. Wir bleiben immer 10 m direkt hinter ihr. Wären wir allein gewesen hätten wir eine unbestimmte Zeit warten müssen bis sich die Eissituation zu unseren Gunsten verändert.

Dahinter liegt der offene Atlantik. Wir müssen hindurch.

Am Ende werden wir mit einem Eisbär belohnt. Ein Anblick auf den jeder Arktis-Segler hofft. Das arme Tier hat allerdings bei den beiden Schiffen etwas Panik bekommen und schnell das Weite gesucht. Einen Tag vorher waren wir vielleicht drei Kilometer von der Stelle an Land.

Seglers seltenes Glück

Die 4-tägige Überfahrt nach Island ging relativ gut, trotz einer scheußlichen Welle (Buckelpiste), dafür aber günstigem Wind. Nach der Einsamkeit hatten wir eine ziemliche Sehnsucht nach Zivilisation. Seit Halifax waren wir in keinem Restaurant mehr.

Unser Kochgas wurde langsam knapp und wir fingen schon an zu sparen, dass es mindestens bis Reykjavik reichen sollte. Das tat es auch, aber das Befüllen unserer eigenen Flaschen ist in Island nicht erlaubt – es werden nur isländische Flaschen getauscht. Wir kauften eine und hatten eine ziemliche Bastelei um sie an unser Bordnetz anzuschließen.

Und noch etwas haben wir in Reykjavik gelernt: In Grönland gab es mehr Eis in diesem Jahr als in den vergangenen 50 Jahren. Und in Island kämpfen wir mit dem nassesten und kältesten Sommer seit 1937.

Leben mit Eis

Montag, 1. August 2022

Wir sind vor 3 Tagen am Ostende des Prince Christian Sound angekommen. Auf seiner Westseite sind die Berge sehr hoch und steil in den Sund abfallend, nach Osten hin wird es eher „hügelig“. Immer wenn von der Seite ein Gletscher in den Sund kalbt gibt es eine längere Strecke mit großen und kleinen Eisbergen und einer Unmenge von kleinen Eisklumpen (20-100 cm Durchmesser).

Foto taken by a Danish military drone

Weil wir keinen Stahlrumpf haben müssen wir sehr vorsichtig navigieren und mit gekonnter Slalomfahrt möglichst wenig Kollisionen verursachen. Alles klappt gut und wir kommen ohne Probleme am Ostende bei einer ehemaligen Wetterstation an. Dort gibt es sogar ein Anlegepier, das allerdings bereits von einer 50-Fuß-Yacht besetzt ist. Wegen der Untiefen aus hartem Fels ist auch der Raum zum Manövrieren mehr als begrenzt. Wir fahren ganz vorsichtig rückwärts rein und legen uns im Päckchen dazu. Die andere Yacht ist vor wenigen Stunden aus Island angekommen und ist mit mit 7 netten jungen Menschen aus Frankreich besetzt. Sie helfen uns die Saphir an ihrem Schiff festzumachen. Die Frage ist, wie wir unser Buddy-Schiff „Kestrel“, mit dem wir seit 2 Wochen zusammen unterwegs sind auch noch ins Päckchen bekommen.

Mitten im Nirgendwo

Das allerdings bedeutet Millimeterarbeit und mit ihrem langen Kiel ohne Bugstrahlruder keine einfache Aufgabe. Doch der Captain der französischen Yacht hilft mit seinem 18 PS-Dinghi und schubst auch die Kestrel noch zu uns in Päckchen. Bei Ebbe können wir sehen wie nah die Felsen unter Wasser tatsächlich sind. Den Abend verbringen wir trotz der vielen Moskitos mit allen zusammen auf dem Vordeck der Saphir, geschützt mit Moskitohaarnetzen und ein paar Dosen Bier bzw. RumCola.

Doch sobald die Sonne untergeht verschwinden zwar die Moskitos, es wird aber auch bitter kalt und alle ziehen sich zurück auf ihr Schiff und werfen die Heizung an.

Am nächsten Tag fahren wir weiter, nun entlang der Ostküste nach Norden. Bis zu Mittag haben wir allerdings dichten Nebel ohne Wind. Zum Nachmittag zeigt sich blauer Himmel. Unsere Route führt uns in ein verwinkeltes Fjord. Von weitem sieht es aus als sei der Weg am Ende durch riesige Eisberge geblockt. Doch wir finden einen sehr schmalen Weg zwischen dem aufsitzenden Eis und Land und können uns ganz langsam hindurch schleichen. Von der Natur, die uns umgibt sind wir überwältigt. Glitzerndes weißes und türkises Eis haushoch keine zwei Meter neben uns und das bei stahlblauem Himmel!

Dazwischen müssen wir durch.

Bei der Suche nach einem Ankerplatz für die Nacht lernen wir erstmals kennen, was es bedeutet, wenn die Seekarten nicht mehr stimmen. Tiefenangaben sind eigentlich Makulatur und meist gibt es sie eh nicht mehr. Wir testen den Ankerplatz in dem wir darüber kreisen und hoffen, dass darunter keine Steine sind. In der Regel fällt der Anker bei 15-20 m. (In der Karibik konnten wir immer den Sandgrund bei 4 m sehen und ganz bequem ankern). Hier müssen wir auch noch 2,50 m Tide mit berücksichtigen und in der Regel auch noch beengte Platzverhältnisse mit sehr steinigen, steilabfallenden Ufern.