Nozzle, Netz und Wetter

Zwischenzeitlich sind wir an der Südostecke von Labrador angekommen. Das letzte Stück nach Norden an der Westseite bis Flower‘s Cove Harbour war Kernerarbeit. Dafür war die relativ kurze Querung der allseits gefürchteten Strait of Belle Isle ganz einfach: Null Wind, glatt gebügelte See und unter Motor.

Unsere Route in den letzten Tagen

Unser erster Labrador-Landgang war in der Red Bay, im 18. und 19. Jhdt einer der größten Walfischfangzentren Kanadas, interessanter Weise unter baskischer Führung. Aber schon die nächste Etappe nach Mary‘s Harbour hatte es in sich. Wir hatten Winde über 30kn und die ersten wunderschönen Eisberge – zunächst im dichten Nebel – doch zum Nachmittag im hellen Sonnenschein.

Es gibt schon lange keine Marinas mehr für Segelschiffe. Die Häfen sind reine Fischerhäfen, meist voll mit Fischtrawler. Man legt an den „Public Piers“ an, die in sehr unterschiedlichen Zuständen sind.

Fischerhafen Flower‘s Cove

Ich schreibe den Post an einem sehr gemütlichen Ort: Battle Harbour, das Zentrum für getrockneten Kabeljau Ende des 19. Jhdt. Er wurde von freiwilligen Helfern zu einem tollen Open Air Museum aufgebaut. Von Juni bis September gibt es ein paar Bewohner und im Rest des Jahres sind die Fenster und Türen mit Brettern zugenagelt. Im letzten Winter versuchten die Eisbären in die Gebäude zu kommen.

Das Loft in Battle Harbour, urgemütlich

Wir sind hier, weil es Internet gibt und wir damit die Wettervorhersagen für unsere anspruchsvolle Passage nach Grönland erhalten können. Heute ist Samstag und eben kam der Chef und sagte, dass sein 75 PS Dieselgenerator ausgestiegen ist und es bis Montag (oder länger) keinen Strom gibt – also auch kein Internet.

Wir sind am Rande der dauerhaft bewohnten Welt angekommen. Vieles was für uns selbstverständlich ist wird hier zum Kümmernis. Wir haben in verschiedenen Häfen nach Diesel gefragt um sicherzustellen, dass wir die Passage mit vollen Tanks durchführen können. Es gibt relativ selten die Möglichkeit überhaupt Diesel zu beziehen, oft müsste man es in Kanistern von einer Tankstelle holen oder es wird mit einem kleinen Lastwagen direkt an das Pier geliefert. Das ist gut für die Fischertrawler, denn deren Öffnung ist groß genug für die große Nozzle (Zapfpistole). Für die Saphir mit ihrer kleinen Öffnung geht das aber nicht. In Mary’s Harbour hatten wir Glück. Mit zwei aufgeschraubten Adaptern und etwas Geduld konnten wir die Saphir nun randvoll betanken. Das heißt, im schlimmsten Fall müsste der Diesel sogar von hier nach Grönland reichen. Aber darauf wollen wir es nicht ankommen lassen.

Das ist auch der Grund warum wir nun unbedingt auf das Internet angewiesen sind. Das Wetter und die Vorhersagen sind kompliziert, die Tiefs ziehen hier wie Perlen an der Kette etwas nördlich von uns durch. Das führt schnell zu Sturmwinden und sehr hohen Wellen.

Wir sind 5 Schiffe die nun auf ein Wetterfenster warten. Jedes Gespräch dreht sich immer wieder um die Wettersituation. Doch die Schiffe sind nicht immer am gleichen Ort. Wir tauschen uns über eine WhatsApp Gruppe aus. Aber auch das wird nun bis Montag nicht mehr möglich sein.

Wir haben ein SAT-Iridium-Telefon an Bord. Mit ihm können wir Emails empfangen und einige Wetterdaten herunterladen. Wir können auch mit Wetterprofis kommunizieren, doch von ihrer ersten Empfehlung waren wir nicht begeistert. Und weiter als 3 Tage in die Zukunft zu schauen ist hier wie Lesen im Kaffeesatz. Wir bleiben dran!

Ohne Sonne, viel Wind = sehr kalt

Noch eine kleine Seemannsgeschichte, die wir vor kurzem gehört haben?

Mitten auf dem Atlantik auf dem Weg in die Karibik. Der Captain muss mal wieder hoch auf den Mast weil sich irgendetwas verhakt hat. Seine Frau nimmt die Handwinsch, denn bekanntlich passieren mit den eWinschen schlimme Unfälle. Der Captain wird sicher bis zum Masttop hochgekurbelt, dort macht er sich zusätzlich mit einer Sicherheitsschlinge fest um auf keinen Fall abzustürzen. Die Reparatur geht gut voran, doch dann bekommt er einen Herzinfarkt und stirbt. Seine Frau hat keine Möglichkeit ihn wieder herunter zu holen. Zehn Tage später läuft sie mit ihrem toten Mann im Masttop in einem karibischen Hafen ein.

PS: Ganz schnell gab es einen mobilen Ersatzgenerator, daher haben wir wieder Internet.

Erholung und Seemannsgarn

Wenn sich die Crews von mehreren Schiffen treffen werden gerne die unglaublichsten Geschichten erzählt. In St. Peter‘s Bay Marina gleich hinter der Schleuse zum Eingang in die Bras d‘Or Seen gab es eine solche Zusammenkunft. Anlass war die Geburt von Tino, meinem siebten Enkel. Wir trafen uns alle auf der Saphir: die Schotten von der „Misty Mhore“ und die Amerikaner von der „Northern Brees“.

Auf das Wohl von Tino

Die erste Geschichte ging so: Der Captain musste auf den Mast hoch, denn ein Fall hatte sich verdreht. Seine Frau wollte ihn nicht von Hand hoch winschen, also nutzten sie die Elektrowinsch. Fast oben ruft der Captain „Stopp“, doch die Winsch ließ sich nicht stoppen. Die Frau versuchte das Seil loszuwerfen brachte aber ganz unglücklich ihren Arm zwischen Winsch und Seil. Da herrschen unglaubliche Zugkräfte und ihr Arm wurde eingeklemmt. Zudem hatte sie kein Messer griffbereit um das Seil zu kappen.Derweil zog es den Captain oben im Mast immer näher zum Eintrittspunkt des Falles bis es ihn mitsamt seinem Bootsmannstuhl ziemlich einquetschte. Schließlich kam die Winsch wegen Überlastung alleine zum Stoppen. Die Frau aber hatte ihren Arm so eingeklemmt, dass er am Ende amputiert werden musste. Der Captain oben am Mast musste lange Zeit warten bis er wieder befreit werden konnte. Ihm sei aber nichts weiter passiert.

Unsere bisherigen Etappen in Nova Scotia

Wir sind nun fast die ganze Südost-Küste von Nova Scotia entlang gesegelt. Jede Etappe war anspruchsvoll. Von Shelburne nach Lunenburg hatten wir den Blue Water Runner gesetzt, ein Leichtwindsegel, das einen vor dem Wind besonders schnell macht. Das ist gelungen. Der Wind drehte aber auf 20 Knoten und wir hatten richtige Schwierigkeiten das Ding wieder zu bergen. Jedes Mal wenn wir es fast geschafft hatten blies sich das Segel wieder zu seiner imposanten Größe auf. Von Lunenburg (einer schwäbischen Pietistengründung) nach Halifax hatten wir Wind bis 30 kn aus Südost, also große Wellen und kleine Segel. Leider haben wir irgendwo einen Lobsterpod eingefangen und seine Leine schlang sich um unseren Hydrogenerator. Der Propeller verlor einen Flügel und die Halterung wurde total verbogen. Außerdem leckt jetzt Öl aus der Motorachse. Das Ding müssen wir zur Reparatur nach Frankreich schicken. Den gleichen Kampf gegen den Wind hatten wir auch auf den beiden Etappen von Halifax nach St. Peter‘s. Gut, dass hier der Wind aus Nordwest über Land kam und es fast keine Welle gab. Aber selbst im Reff II legte sich die Saphir noch weit über 20° auf die Seite, die See kam höher als zum Süllbord. Das Abendessen fiel aus. Aber nach der Ankunft nachts um 2 Uhr in der Ankerbucht genossen wir Rotwein mit Lasagne.

Nun sind wir zur Erholung auf einem inländischen Fjord mit weit verzweigten wunderschönen Ankerbuchten unterwegs. Wenig Wind und gar keiner Welle – einfach herrlich nach den Ozeaneskapaden: Lake Bras d‘ Or, eine französische Verballhornung von Labrador.

Und zum Schluss noch die zweite Geschichte: Ein Paar vor Anker, der Skipper ein Profischwimmer. Sie wollen den Anker aufholen, aber der steckt fest. Er also tapfer ins Wasser und die 6 Meter hinunter getaucht um den Anker freizulegen. Sie steht oben am Bug und beobachtet das Ganze. Der Skipper hebt den Anker hoch und versinkt dabei in dem Schlicker. Er kommt nicht mehr hoch und die Frau muss oben mit ansehen wie er ertrinkt.

Also, die Geschichten sind unglaublich, ab möglich wären sie auch gewesen.

Jeder entscheide sich wie er will.