Börtschi-Alarm

Seit einigen Monaten sind wir Mitglied im OCC (Ocean Cruising Club). Das kann man werden, wenn man mindestens 1.000 Seemeilen im offenen Ozean ohne Zwischenstopp gesegelt ist. Uns ist das bei der Überfahrt von den Kap Verden nach Barbados im Januar 2018 gelungen. Mitglieder sind also in der Regel erfahrene Segler.

Das tolle an diesem Club sind die wahrhaft aktiven Mitglieder. Alle haben ihren Burgee, einen Dreieckswimpel in blau-gelb mit Fliegendem Fisch unter der Saling wehen – wir also auch. Seither herrscht bei uns immer wieder ‚Börtschi-Alarm‘, wenn wir irgendwo vor Anker liegen. Dann kommt ein Dinghi mit 2 Personen an Bord direkt auf die Saphir zugefahren und es entspinnt sich folgender Dialog:

„Hello, we saw your burgee. Just came by to say hello to our fellow cruisers.“

„Oh, this is very kind. Are you also sailing North to Maine?“

„Yes, we do. Where are you coming from?“

Das geht dann eine ganze Weile hinundher und man erfährt, dass die zwei Dinghi-Sitzer schon um die ganze Welt gesegelt sind. Es gibt Tipps zu Neuseeland, Cocos Keeling, Alaska und einfach zu allem. Meist endet die Konversation so:

„Why don‘t you come over to Saphir for a sundowner later in the afternoon?“

Und dann trifft man sich später im Cockpit und erzählt bei einem oder zwei Gläsern Wein von den großen Segelabenteuern, unzähligen Ankergeschichten (die ich eigentlich mal sammeln sollte) und genießt die schöne Stimmung und den knallroten Sonnenuntergang.

In Camden gab es eine große Zusammenkunft von 140 Börtschi-Trägern – Vortrag, Essen, Socialising. Und in den 4 Folgetagen waren wir mit einer Flotte von über 30 Schiffen durch die Maine‘schen Inseln unterwegs. Super interessant und jeden Abend ‚socialising‘ auf Schiffen, die zusammengebunden vor Anker liegen oder am Strand. Es ist üblich, dass man dann etwas zu essen und zu trinken und vor allem seine eigenen Gläser mitbringt.

Als wir noch vor der Zusammenkunft in den kleinen Hafen von Camden einfuhren und am Dock für Diesel und Wasser anlegten um unsere Vorräte wieder aufzufüllen kommt mal wieder ein Dinghi auf uns zu. Es ist genau das gleiche wie unseres: Highfield mit dem E-Motor von Torqeedo. Es ist ein älteres Ehepaar. Sie freuen sich richtig die Saphir zu sehen, denn bis vor 5 Jahren sind sie auch auf einer Hallberg 42 Flushdeck (=legendäres Schiff) um die Welt gesegelt. Doch heute sagen sie, seien sie zu alt zum Segeln und sind jetzt mit einem 40 Fuß American Tug Motorboot unterwegs – ein schwerer schwimmender Wohnwagen mit reichlich Comfort. Später sind wir zufällig am selben Floating Dock und wir kommen länger ins Gespräch. Um die Geschichte kurz zu machen: Sie haben ihre Hallberg 42 gekauft als beide in Rente gingen und haben sie dann 35 Jahre gesegelt. Herb wird im Oktober 102 Jahre alt und Ruth 93. Sie haben es sich nicht nehmen lassen an Bord zu kommen, über das Mittelcockpit den Niedergang runter und rauf zu klettern, alles genau zu inspizieren und die Unterschiede zwischen unseren Hallbergs zu beschreiben.

Wer weiß, wie eng und steil es auf einem Segelschiff zugeht kann den Respekt vor dem hohen Alter, das wir empfunden haben leicht nachvollziehen.

Seit wenigen Tagen segeln wir wieder nach Süden. Unsere nächsten größeren Stopps sind Martha‘s Wineyard, Boston und New York. Freunde, die schon weiter südlich sind freuen sich über kurze Hosen und Badetemperaturen – ein deutlicher Unterschied zu dem Wetter in Maine.

Maine‘s Schönheiten und UnWEGbarkeiten

Wenn man so will, sind wir am Ziel unserer Segelreise angekommen: der nördlichste Staat der USA an der Ostküste, Maine. Hier werden wir noch bis zur ersten Septemberwoche bleiben und dann geht es wieder zurück in den warmen Süden.

Das Wasser hat nur noch 13 Grad, also deutlich zu kalt zum Baden. Auf einer Wetter-App wird dringend vor dem Beach Hazzard gewarnt: „Ein Sprung ins kalte Wasser kann zum sofortigen Herzstillstand führen“. Wer hätte das gedacht…

Hier gedeihen die berühmten Maine-Lobster, Hummer von ansehnlicher Größe. Sie werden hier überall gefangen. Dazu wird ein Käfig mit einem Köder an einem Seil auf den Meeresboden abgesengt. Oben gibt es zwei Bojen, eine für das Tau in die Tiefe, eine zweite für das Fängertau. Beide sind der Schrecken aller Segler. Leicht verfängt sich eines der Taue im Propeller oder im Ruder. Wäre alles vielleicht halb so schlimm, aber die Buchten sind übersät mit Hunderten dieser ‚Lobsterpods‘. Undenkbar, hier bei Nacht zu segeln, schon tagsüber muss man höllisch aufpassen und Slalom fahren.

In jedem kleinen Hafen gibt es mindestens ein Lobster-Festival. Dann werden an einem Wochenende schnell mal 16 Tonnen verzehrt. Kaum zu glauben, dass es immer noch welche zum Fangen gibt.

Wir haben auch Bekanntschaft mit den ‚Deer Flies‘ gemacht – ganz fiese Fliegen. Sie sehen genauso unscheinbar aus wie unsere gewöhnliche Hausfliege, aber sie sind am Tag aktiv und saugen Blut. Wir hatten sie zu Hunderten selbst 50 km vom Festland entfernt auf See.

Und wenn die sich am Abend zu Ruhe begeben, dann kommen schon mal die Moskitos. Ein Besuch von Maine kann also durchaus zu hohem Blutverlust (auf beiden Seiten) führen.

Maine hat von allen US-Staaten die längste Küstenlinie. Hier ist alles voller kleiner, großer, bewohnter und unbewohnter Inseln. Es gibt eine Unzahl von wunderschönen Ankerplätzen. Das Wetter ist genial. Selten zieht eine Kaltfront durch, dann haben wir zwei Tage Regen und einen saukalten Wind, aber meist scheint die Sonne und heizt tagsüber auf 25-28 Grad. Die Nächte sind angenehm kühl und sorgen für einen guten Schlaf. Ab Mitte September ist die Saison vorbei und es kann dann bald Schneekalt werden. Aber dann sind wir wieder weg.

Hier gibt es mit dem Acadia National Park einen der ältesten Naturschutzgebiete der USA. Wir haben unsere Fahrräder aufgepumpt und sind durch die Wälder gefahren und – ein schönes ‚High‘light: Eine Wanderung auf den Mt. Cadillac, dem höchsten Berg mit über 1500 Fuß. Er heißt so, weil auch ganz viele Menschen mit eben diesen auch den Parkplatz auf dem Gipfel anfahren.

Ein herrlicher Blick über die Insellandschaft und, ganz winzig klein, liegt die Saphir vor Anker in der Frenchman Bay in Bar Harbor.