Die Via Dolorosa durch die karibische Bürokratie

Die kleinen Antillen sind eine Ansammlung von Klein(st)-Staaten, mit einer Ausnahme. Doch davon später.

Von Süden nach Norden sind Grenada, St. Vincent, Barbados, St. Lucia, Dominica, Antigua, usw. alles unabhängige Staaten, manche noch Mitglied im britischen Commonwealth mit der Queen als Staatsoberhaupt. Barbados hat eine eigene Währung aber alle anderen haben eine gemeinsame Währung, den East Caribbean Dollar. Dieser steht in einem festen Wechselkurs zum amerikanischen Dollar. Im Alltag reden aber alle vom Dollar und für manche, insbesondere für uns, ist manchmal unklar welcher gemeint ist. Immerhin muss man 2,5 EC-$ für einen US-$ bezahlen. Es gibt allerdings eine Ausnahme. Doch davon später.

Die Inseln sind für Segler nur jeweils eine kurze Tagesreise (4-6 Stunden herrliches Segeln im Ost-Passat-Wind) entfernt.

Wenn man mit dem Segelschiff in ein Land einreist, dann ist das ein Grenzübertritt mit einer erheblichen Wertsache. Daher sind Zoll, Immigration und die Hafenbehörden involviert. Stellvertretend für alle anderen beschreibe ich die Via Dolorosa (es ist Ostern!) des Seglers durch die Behörden in Antigua.

Im ‚English Harbour‘, einem wunderschönen natürlichen Hafen, dem ehemaligen Flottenversteck des Admirals seiner Majestät des Königs von England, Sir Horatio Nelson, laufen wir am Nachmittag des Gründonnerstags ein. Sir Horatio übrigens hat von hier aus versucht die britischen Besitztümer in der Karibik zu sichern und zu mehren. Dabei ist er auf gleiche Interessen, nur eben andersherum, der Franzosen und Niederländer gestoßen.

Sobald die Saphir fest an der Pier (UNESCO-Kulturerbe) liegt nimmt der Skipper die Papiere (Registrierung, Versicherung, Pässe) und sucht die Behörden auf. Natürlich achtet der Skipper dabei -trotz der Hitze- auf anständige Kleidung.

Die Behörden sind in einem alten Nelson-Bau sehr kundenfreundlich alle in einem großen Raum untergebracht. Die Via Dolorosa ist also nur wenige Meter lang.

Die erste Station ist immer der Zoll. Ein Computer steht auf dem Tisch und ich hacke sämtliche Daten rein. Es sind viele Daten zur Saphir inkl. einer kompletten Crewliste mit sämtlichen Angaben aus den Pässen. Das dauert gut 20 Minuten. Ich brauche so lange, denn auf der Tastatur sind keine Buchstaben mehr zu erkennen und es ist keine QWERT-Tastatur…

Es gibt keine anderen Immigranten, also nichts wie hin zum Schalter. Hinter der Glasscheibe, in Sprechhöhe mit ein paar Löchern und auf dem Tresen ein Schlitz für die Papiere, finden sich zwei Schreibtische. Der hintere ist besetzt. Die Dame telefoniert. Immer wieder ist ihr Gespräch von Gelächter unterbrochen – es ist ein Privatgespräch. Nebenher schreibt sie noch Messages in ihr Smartphone. Ein echtes Multitalent, das allerdings nicht mehr zur Bedienung meiner Wenigkeit reicht. Nach 10 Minuten werde ich unruhig und beginne mich „breit“ zu machen vor der Glasscheibe. Und das wirkt. Sie nimmt das Telefon weg und schreit aus der Tiefe des Raumes etwas mir Unverständliches. Ich bedeute, dass ich rein gar nichts verstanden habe, presse mein Ohr an die Löcher und sie wiederholt.

„Inbound or outbound?“

„Inbound!“

Dann setzt sie ihr Telefonat wieder fort – ungelogen bestimmt nochmals mehr als 10 Minuten.

Und dann, der Hoffungsschimmer für mich, beginnt die Arbeit – im Tempo einer karibischen Schnecke: Erst der Ausdruck, dann die Überprüfung aller Papiere, begleitet von einer sehr unfreundlichen Kommunikation. Die Schiffpapiere und die Crewliste (Katrin und ich) werden jeweils 5 mal ausgedruckt. Sie schiebt den Stapel durch den Schlitz zu mir.

„Sign and date!“ im Befehlston.

Ohne Widerstand unterschreibe ich 10 mal inkl. Datum. Sie sitzt am langen Hebel.

Dann wird jedes Blatt mit jeweils zwei Stempel und ihrem persönlichen Zeichen versehen und ich bekomme je ein Exemplar Schiffspapier und Crewliste.

„Immigration!“

Diese Behörde ist im gleichen Raum nur drei Schritte weiter. Sie hat vier Schalter. Alle sind mit Uniformierten besetzt, keine anderen Kunden. Die Dame am Schalter 4 hat sichtbar keine Zeit für mich. Sie lehnt sich aus dem Fenster und hat dort eine wichtige Besprechung mit einem Zivilisten. Auch Schalter 3 ist im Moment unpässlich, die Dame dort isst einen großen Hamburger und hat alle Mühe ihre Finger frei von Ketchup und Mayo zu halten.

Die Dame am Schalter 2 schaut mich so unfreundlich an, dass ich mich erst gar nicht getraue zu ihr zu gehen. Ich denke, das ist lange geübte Strategie um Kunden zum anderen Schalter zu bringen.

Also Schalter 1, der muss es werden. Diesmal keine Dame und ich freu mich schon, wir werden die Einreise nun von Mann zu Mann regeln. Der Herr ist gerade im Facebook. Es sind wichtige Themen, denn er scrollt rauf und runter, noch weiter runter und wieder etwas rauf. Es dauert. Die Dame am Schalter 2 schaut immer noch feindlich, will aber nicht übernehmen.

Ich schiebe meine Zettel und die zwei Pässe unter dem Schlitz durch und mache mich wieder „breit“. Das wirkt. Er wechselt das Window ins Immigration-Programm und kommt zu mir.

Er studiert die Zettel, lange.

„Immigration?“

„Yes!“

„OK. No problem“.

Ich bin erleichtert. Er nimmt die Zettel und Pässe und geht zu seinem Schreibtisch und studiert sie nochmals sehr lange. Ich werde unruhig. Dann steht er auf und geht mit allem ins Nebenzimmer. Dort hat er eine Besprechung mit seiner Vorgesetzten. Verstehen kann ich nichts. Es dauert und meine innere Ruhe, meine Souveränität, meine Lässigkeit, alles ist dahin. Meine Gedanken rasen, was könnte mit den Papieren nicht stimmen? Mein Pass ist neu, die Saphir ordentlich registriert und versichert. Papiere wie sie tausend andere Segler jeden Monat im English Harbour bei den Behörden vorlegen.

Die Dame von Schalter 2 rollt mit ihrem Kopf – anstrengendes Sitzen den ganzen Tag, dann wischt sie mit einem Tempo die Ränder der Kaffeetassen vom Tisch und wendet sich dem Fernseher zu, der in einer Ecke steht und auf dem gerade eine offensichtlich bei Immigrationsbeamten sehr beliebte amerikanische Serie läuft.

Er kommt zurück.

„OK. No problem!“

Ich atme aus, entspanne mich wieder. Nochmals gut gegangen. Der Beamte am Schreibtisch studiert nochmals intensiv die Papiere. Dann kommt er zum Tresen, haut jeweils einen Stempel in die Pässe und zwei auf die Papiere, persönliches Zeichen und dann

„Customs!“

Die fünf Schritte dahin sind im Nu überwunden. Die Zolldame ist am Telefon. Ich kann nicht verstehen ob immer noch mit dem gleichen Gesprächspartner oder nun einem anderen. Jedenfalls ist es ein lustiges Gespräch. Ich sehe auch, dass sie Fotos aus ihrem Smartphone an die Person am anderen Ende der Leitung schickt. Ungern möchte ich die Unterhaltung unterbrechen, den sie sitzt am langen Hebel.

Eine kleine Ewigkeit vergeht bis sie sich zu mir bequemt, mir unwirsch die zwei Zettel abnimmt, die Pässe interessieren nicht mehr, noch einen Stempel drauf haut und … fast fertig.

„Port!“

Aha, sie meint Port Authority.

Diese Dame sitzt drei Schritte weiter und ist nicht besetzt, außer mit Facebook. Auch das dauert. Dann nimmt sie meine zwei Zettel, tippt auf ihrem kleinen Rechner und sagt

„37 Dollar“

Ich bin erleichtert – keine Probleme, nur die Green Tax bezahlen.

„EC-Dollar or US-Dollar?“

„US-Dollar“

„What is it in EC-Dollar?“

„96 EC“

Ich zähle ihr das Geld hin. Sie schreibt eine Quittung über 37 Dollar, heftet sie mit allen Papieren zusammen.

„Customs!“

Also nochmals die Dame mit der Telefonitis. Doch diesmal ist sie schnell. Nochmals ein Stempel von ihr und wir sind drin, in Antigua.

Über eine Stunde war ich auf der 15 m langen Via Dolorosa. Doch sind wir nun ordentlich eingereist. Ich freu mich schon auf die Ausreise, denn dann gibt es nochmals dieselbe Prozedur.

Übrigens, die Dame von der Port Authority hat mich Naivling betrogen. Natürlich wird in Antiguanischen Behörden ausschließlich in Landeswährung abgerechnet. 59 EC-Dollars dienten ausschließlich dazu den persönlichen Lebensstandard der Beamtin zu heben. Ich hoffe sie weiß meinen bescheidenen Beitrag als Ostergeschenk zu schätzen.

Über die erwähnte Ausnahme werde ich morgen im Blogg berichten.

2 Kommentare zu „Die Via Dolorosa durch die karibische Bürokratie

  1. Oh das kenn ich… Realistischer kann man es nicht schreiben! Hab Tränen gelacht und mich erinnert. In Antigua waren wir übrigens vor 21 Jahren eine Nacht ohne einzuklarieren. War uns zu teuer – ging ja auch so 🙂
    Gruß, Andreas

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